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Friday, 25. April 2008 22:15

 

Grosses Interview zur WM

Eine unglaubliche WM ist gerade zu Ende gegangen. Die Schweiz hat das Resultat von Winnipeg noch einmal toppen können und ist zum ersten Mal in der Geschichte in ein Medaillenspiel vorgedrungen. Der letztendlich 4. Platz an der WM in Harbin ist ein riesiger Erfolg für die Frauennationalmannschaft. Frauennati.ch durfte exklusiv mit einem Teil des Staff ein Interview zu den vergangenen Tagen führen.

Frauennati.ch: Hallo zusammen, noch einmal herzliche Gratulation zum grossen Erfolg in Harbin und schön dass ihr euch Zeit nehmt, für ein paar Fragen zur Verfügung zu stehen. René erzähl mal, wie habt ihr euch in der Schweiz und dann in Harbin vorbereitet?
René Kammerer (RK), Head Coach: Die Vorbereitungen für einen solchen Event laufen auf ganz verschiedenen Ebenen, und über einen längeren Zeitraum ab. Sport, mental, organisatorisch, logistisch usw.  Dazu sollte man die Aufgabe kennen, die an einen gestellt sind. Natürlich fliessen in allen Bereichen sehr viele Erfahrungen ein. Zusätzlich haben wir uns mit Organisationen und/oder Personen zusammengesetzt, die sich mit den speziellen Gegebenheiten in China auskennen. Mit  Swiss Olympic, die sich für Peking 08 vorbereiten, um ein konkretes Beispiel zu nennen. Da gab es natürlich noch etliche mehr. Zusammen mit unserem Verband haben wir auch versucht an das örtliche OK ranzukommen, was aber schwerer war als vermutet. Selbst der IIHF – um noch ein Beispiel zu nennen – musste einen Mitarbeiter nach Harbin entsenden, da einiges unklar war. 2 Wochen vor der WM!
Aus diversen Überlegungen flogen 2 Personen aus unserem Staff 48h vor der Mannschaft nach Harbin. Mit den exakt gleichen Verbindungen wie später das Team. Diese beiden haben aus den angetroffenen Realitäten das beste gemacht, und die Ankunft der Delegation so weit wie möglich vorbereitet.

Das klingt ja abenteuerlich. Wie war das dann vor Ort? Wie habt ihr euch in Harbin durchgesetzt?
RK: Wie angetönt haben wir uns im Vorfeld mit der chinesischen Kultur etwas auseinander gesetzt. Zudem waren wir im 2004 bereits in Peking. Wir hatten ein kleines Wörterbuch deutsch-englisch-chinesisch dabei. Verständigt haben wir uns mit Händen und Füssen plus das sehr wertvolle Zahlungsmittel „Swiss Hockey Pins“ oder/und echte Schweizer Schokolade. Bei Ankunft haben wir so ziemlich alle „gekauft“, die da waren. Das öffnete einige Türen. In den örtlichen Einkaufszentren wurde man schnell auf die 2 Europäer aufmerksam. Und dort hat man uns dann „privilegiert“ behandelt. Ein Manager plus 3-6 Angestellte trugen unsere Sachen zusammen, und dann gleich zum Hotel...Zudem hatten wir über einen privaten Kontakt eine Person gefunden, die aus Harbin selber war und sowohl englisch als auch chinesisch konnte. Gerade beim Einkauf war das sehr wichtig. Wie gesagt, das kannst du nicht erst vor Ort lösen unter dem Motto „Hier sind wir - los“, sondern Bedarf ziemlich intensiver Vorbereitung. Und jedes Turnier, jeder Anlass ist verschieden. Ein paar Erfahrungen haben wir nun ja, die helfen natürlich.

Michi, du hast René begleitet. Was waren deine ersten Eindrücke in China?
Michael Fischer (MF), Assistant Coach: ich war ja das erste Mal in China und alles was ich vorher darüber vermutet habe wurde grösstenteils bestätigt. Sehr grosse Gegensätze, Traditionen und Hierarchiedenken prallen auf Westmoderne Lebensweise. Ein unglaublicher Spagat, den ich so noch nirgends auf der Welt erlebt habe. Da steht ein moderner Betonmarmorglasbau eines grossen Bank auf der einen Seite der Strasse und auf der anderen Seite der Strasse stehen Wellblechhütten mit einem Meter hoch Dreck und Abfall davor. Trotzdem sind hier alle zufrieden und gehen unzählbaren Tätigkeiten nach. Es herrscht ein trotz allem geordnetes Chaos des Lebens und Leben lassens. Wahnsinnig faszinierend und doch anstrengend. Die grosse Sprachbarriere kostete uns sehr viel Zeit und schauspielerisches Talent um an das zu kommen, was wir benötigten. Bis wir die Zimmerschlüssel für die Vorbereitung der Teamankunft bekamen beispielsweise. Es dauerte 24 Stunden und 4 Anläufe, bis es klappte. Und das war ca. 15 Minuten bevor wir an den Flughafen mussten. Oder eben, einkaufen und dann das Wögelchen gleich mitnehmen, was für eine Story! :) Aber es hat sich gelohnt, jedes Hindernis zu nehmen. Wir haben eine fantastische Zeit erlebt für die ich sehr dankbar bin.

Philipp, oder darf ich dir Pipo sagen? Wie hast du das Ganze Organisatorische von der Schweiz aus erledigt? Ich habe gehört, ihr musstet sogar Luftfracht verschicken, damit ihr alles Material und Gepäck in Harbin hattet. Was musste alles erledigt werden?
Philipp Steiner (PS), Delegationsleiter: Ja klar kannst Du Pipo sagen, so kennen mich ja eigentlich die Meisten, beim „richtigen“ Namen wissen manchmal die Leute gar nicht wer gemeint ist;-)
Tja die Organisation dieses Grossevents gestaltete sich sehr schwierig, waren doch die Informationen aus China sehr lange nur dünn gesät bis gar nicht vorhanden, wussten wir beispielsweise bis gut zwei Wochen vor Abflug noch nicht genau in welchem Hotel wir untergebracht sein werden, geschweige von irgendwelchen verlässlichen Trainingsplänen, was die Planung aus der Ferne nicht gerade einfacher gemacht hatte.
Ja Du hast richtig gehört…aus logistischen und vor allem auch Kostengründen haben wir ziemlich genau 1000 kg Fracht nach Harbin geschickt.
Auch dies war eine doch eher grössere Übung, da wir diese noch vor der endgültigen Kaderselektion sammeln mussten, da gleich anschliessend an die Selektion die gesamte Fracht auf den Flieger musste, damit diese rechtzeitig in China eintreffen wird.
Wir haben also einen Samstag bestimmen müssen, an welchem das gesamte Team der Long Liste inkl. Staff in Kloten beim Spediteur ihre Frachttaschen abgeben mussten und fein säuberlich angeschrieben und mit Inhaltslisten versehen werden mussten.…

Musstet ihr in Harbin selbst noch Sachen organisieren oder war dann alles erledigt? Wie war das Essen in China?
PS: Zum Glück haben wir entschieden, dass René und Michi zwei Tage vor uns nach China reisen werden und vor Ort die Begebenheiten ausfindig machen und entsprechend alles für unsere Ankunft mit dem Team vorbereiten konnten!
Die Beiden haben dann am 27.März die gesamte Fracht entgegengenommen und dann bis zu unserer Ankunft von Getränken über Esswaren und Kochgeschirr beispielsweise diverse grossartige Vorarbeit geleistet, damit wir alles perfekt vorbereitet vorfanden als wir angekommen sind! An dieser Stelle gleich ein grosses DANKESCHÖN an die Beiden für ihren Einsatz!
Wir haben erwartet, dass in China nicht gerade viel erledigt sein wird und deshalb hat sich diese Vordetachement mehr als nur ausbezahlt.

Wie gross war denn dein Zeitaufwand vor Harbin?
PS: Der Aufwand vor Harbin war enorm! Ich frage mich manchmal wie wir dies durchgestanden haben!
Ich sage bewusst wir und nicht ich, da mir auch hier die Coaches sehr viel Unterstützung zukommen liessen.
Da ja wie bereits erwähnt bis kurz vor unserer Abreise noch fast gar nichts klar war, mussten wir unter Zeitdruck und mit nur schlecht englisch sprechenden Kontaktpersonen in China alles organisieren inkl. Fracht.
In den zwei Wochen vor Abflug habe ich selbst zum Beispiel neben der täglichen Arbeit im Geschäft nach Feierabend regelmässig bis 3 und 4 Uhr Nachts dafür gearbeitet, das alles so gut als möglich organisiert ist, wobei ich an die Grenzen der Belastung gekommen bin.
Es war für mich sehr sehr wertvoll zu wissen, dass ich den Coaches jeweils Aufgaben übergeben konnte, welche sie mir ebenfalls mit enormen Zeitaufwand abnehmen konnten, anders wäre es schlichtweg unmöglich gewesen, dies alles zu bewältigen.

Wow, Hut ab, ihr habt euch wirklich ins Zeug gelegt. Was habt ihr also anders gemacht wie die anderen Nationen, damit dieser Erfolg möglich war?
RK: Da ich nicht genau weiss, was andere gemacht haben, kann ich darauf praktisch keine Antwort geben. Ich denke auch, wir sind wir und müssen unseren Weg gehen. Den mögen nicht alle gutheissen, oder verstehen, aber diesen gehen wir.
Ich muss hier aber sagen, dass der Staff und die Spielerinnen enorm, um nicht zu sagen extrem viel Arbeit, Herzblut, Zeit und auch privates Geld in Harbin 08 investiert haben! Und da kann man nur den Hut ziehen, und Respekt zollen.
...................er verpflichtet nun natürlich auch. Zudem haben im Hintergrund haben ganz viele Personen mitgearbeitet, die praktisch nie namentlich erwähnt werden. Leute die an uns geglaubt haben, uns unterstützt haben. 

Wie lief das „Lagerleben“ ab, damit das Team bei Laune blieb. Hast du da Tricks angewendet?
RK: Tricks?  Ist das nicht das, was die  Illusionisten wie es z.B. Sigfried & Roy waren, machen?..
Nönö, wir haben nur trainiert, gegessen, geschlafen und Theorien abgehalten. Und das die vollen 17 Tage lang... : - )   

Waren die Gegner schwächer als erwartet, dass dieser Erfolg so unerwartet kam oder was war los, in Harbin? Wie hast du die anderen Teams erlebt. Was gab schlussendlich den Ausschlag und was heisst das für die Zukunft?
MF: Diese Frage musste ja kommen :)  - nein, die Gegner waren alle auf dem Stand der Dinge, kamen mit ihrem vollen Potenzial und haben sich ebenfalls, meist auf ihrer profimässigen Schiene für diesen Event vorbereitet. Finnland hatte wirklich alles dabei, das Rang und Namen hat, keine Ausfälle. Schweden hatte alle Routiniers dabei bis auf eine und zudem 5 Spielerinnen aus der U18, die man als solche nicht erkannt hätte. Sehr gross, kräftig und schon besser wie manch eine gestandene Spielerin. Die U.S.A. kam wie wir mit einer Mischung aus Erfahren und jung und hat einen unglaublichen Spirit erzeugt. Kanada hatte nominell gar das stärkere Team als letztes Jahr dabei, konnten aber als Team nicht überzeugen. Russland war mit allem da was sie haben, China auch, Japan ebenfalls. Bei Deutschland wog wohl der Ausfall Beckers schwer, aber die Mannschaft hat immer noch haufenweise Klasse drin. Nein die Gegner waren nicht schwächer als erwartet. Aber vielleicht sind alle etwas anders mit der Situation vor Ort umgegangen. Haben mehr oder weniger fokussiert. Oder haben andere Strategien gefahren im Turnier. Ich denke einfach, unser Team hat einen extremen Lernschritt gemacht, hat viele Dinge neu und anders gesehen und hat einen Teamgeist entwickelt, den selbst ich in 17 Jahren Fraueneishockey noch nie erlebt habe. Und das hat Berge versetzt.
Was das für die Zukunft heisst, werden wir in Finnland sehen. Die Ausgangslage wird einiges härter sein, denn kein Team wird uns mehr falsch einschätzen, wird um unsere Möglichkeiten im Spiel wissen. Wir haben uns darauf vorzubereiten und in einem Jahr bereit zu sein. Und wir werden hart, ganz hart dafür arbeiten.

Am 1. April habt ihr ohne Scherz gleich 0:7 gegen Finnland ein Freundschaftsspiel verloren nur um 20 Stunden später gegen Gastgeber China mit 3:1 als Sieger vom Platz zu gehen. Was läuft da ab, dass so eine Kehrtwende möglich ist?
RK: Wir mussten lernen, was internationales Spitzen Fraueneishockey bedeutet. Wie dort gespielt wird. Worauf es ankommt. Da gibt es keinen schwächeren 3. oder 4. Block. Und da ist nach 17 Minuten das Drittel nicht zu Ende. Und der Gegner marschiert bis zur 60, oder darüber hinaus, wenn es sein muss. Zudem hat unser Team noch nie (!) in dieser Zusammensetzung gespielt.
Der Kern des Teams und Staffs haben schon einige Erfahrungen gemacht. Gute und weniger gute. Diese fliessen in solchen Momenten hinein. 

Dann kam das erste WM-Schlüsselspiel gegen Deutschland und Tags darauf das Spiel gegen die U.S.A. – erzähl von diesen 24 Stunden, was lief da ab?
RK: Nach der Schlusssirene im Deutschland Spiel wussten wir natürlich, dass der Ligaerhalt geschafft ist. Wir wussten auch, dass die direkte Olympiaqualifikation Tatsache war. Da regenerierst du schneller. Dafür schläft manch eine/r schlechter. Wir haben versucht, diese Tatsachen beiseite zu legen, um uns auf das USA Spiel vorzubereiten.

Dani, du musstest aus beruflichen Gründen zu Hause bleiben. Wie hast du diese 24 Stunden erlebt?
Daniel Hüni (DH), Assistant Coach: Vor dem Deutschland Spiel war ich angespannt. Wenn nach langer Vorbereitungszeit der Zeitpunkt gekommen ist, den wichtigsten Match zu gewinnen, du jedoch nicht vor Ort bist, reisst das an den Nerven. Mein Vertrauen in die Mannschaft und den Staff war jedoch so gross, dass ich der Überzeugung war dieses Spiel gewinnen zu können. Nach einer kurzen Schlafeinheit waren meine Gedanken bereits wieder in Harbin, es stand der nächste Match gegen die USA auf dem Programm. Auch wenn ich genau wusste, wie wir weiter agieren würden, konnte ich auf diese Distanz natürlich die Reaktion des Teams nicht miterleben.

Und wie hast du mit dem Team Verbindung gehalten? Wo warst du beim 3:0 Sieg deiner Mannschaft gegen Deutschland gerade?
DH: Während des Spiels habe ich sicher 10x mit Pipo telefoniert, um möglichst nichts zu verpassen. Als dann endlich das erlösende Resultat auf dem Natel-Display erschien, konnte ich einen Siegesschrei nicht verhindern. Jeder meiner Mitarbeiter musste mind. 3x anhören, dass ich sehr stolz auf die Mannschaft und den Staff bin und wir an den Olympischen Spielen in Vancouver 2010 dabei sein werden.
Zum Thema Kommunikationsmittel sage ich nur: super-teure Natelrechnung :) Aber die entscheidende Phase eines Spieles am Telefon mitzuerleben, entschädigt alles!

Wie haben die Leute um dich herum reagiert?
DH: Ich durfte viele Glückwünsche und Gratulationen entgegen nehmen, was mich zusätzlich stolz machte ein Teil dieses Teams zu sein. Selbst das Fernsehen berichtete erstmals über die Resultate der Frauen an einer WM.

Nach dem Deutschlandspiel wusstet ihr, dass ihr zu 95% bereits für die olympischen Spiele in Vancouver qualifiziert sein würdet. Was ging da ab, habt ihr das kommuniziert?
MF: Rechnerisch war es für uns von Anfang an klar, denn die Gruppenkonstellation und Ausgangslage in der Weltrangliste war eindeutig. Wer in der Partie Schweiz gegen Deutschland als Sieger vom Eis gehen würde, wäre egal wie der weitere Turnierverlauf ausfiele für Vancouver qualifiziert. Es hätte noch die Möglichkeit gegeben, dass die U.S.A. oder Kanada in der Vorrunde verlieren würden. Diese Wahrscheinlichkeit wäre aber wohl kleiner gewesen als diese 5% wie oben ausgeführt. Wir haben das aber nie kommuniziert, denn es sollte ja nicht den Fokus verfälschen oder nervös machen. Wir gewannen und schnell munkelte man im Team etwas von Qualifikation und vielleicht geschafft etc. So mussten wir handeln und haben entgegen unserer Gewohnheiten nach dem Spiel in der Garderobe informiert. Was bei einer solchen Nachricht abgeht kann wohl jede/r nachvollziehen. Im Nachhinein waren wir froh, denn es am anderen Tag im Internet zu lesen wäre wohl nicht die feine Art gewesen.

Und wie habt ihr euer Team wieder auf den Boden geholt?
MF: Das mussten wir nicht gross. Wir haben vor der Information gesagt, dass das Turnier weiter geht und wir uns für das U.S.A.-Spiel vorbereiten müssten. Aber den einen oder anderen Traum haben wir natürlich nicht verhindern können und auch nicht wollen.

Dann hattet ihr einen Tag frei. Was habt ihr an solchen Tagen mit dem Team gemacht?
PS: Wir haben geschaut, dass wir den Spielerinnen auch so viel Freizeit wie möglich geben konnten, damit sie regenerieren konnten und auch mal einfach aus dem „Lagerleben“ ausbrechen und die Köpfe lüften konnten.
Wir haben aber auch einen Halbtages Ausflug zu Sehenswürdigkeiten mit unserem Host Cindy und einer Chinesin, welche wir aus der Schweiz als Kontakt erhalten haben.
Diese haben uns zum Denkmal der bladibla und zur grössten Kirche in Harbin geführt.

Ihr habt also nur zwei Sehenswürdigkeiten gesehen, wieso das? Gab es kein Vorankommen in Harbin?
PS: Das Vorankommen war nicht das Problem aber wir hatten noch ein Training am Nachmittag auf dem Programm und wollten auch, dass die Spielerinnen vernünftig Essen konnten, um den Energiehaushalt ausgeglichen zu halten.
Also auch da galt bereits nach dem Erfolg gegen Deutschland bereits wieder der Fokus auf die kommenden Aufgaben der Zwischenrunde gegen Schweden und Russland, so versuchten wir also einerseits dem Team etwas zu gönnen aber auch klar aufzuzeigen, dass die WM noch nicht vorbei ist „nur“ weil wir unser erstes Ziel erreicht haben.

Was nun folgte würde als „the swiss miracle on ice“ in die Geschichte eingehen. Erzähl und von den magischen 48 Stunden der Zwischenrunde und eure Promotion ins Bronzespiel?
RK: Die Vorbereitung auf dieses SWE Spiel sind schon viel älter als die meisten, selbst die Spielerinnen, denken. Das hat früher begonnen. Klar hat uns SWE unterschätzt. Und wir hatten nebst einer untypischen schweizerischen Chancenauswertung, eine enorme Teamleistung, wo jede für die andere lief. Zudem einfach eine Torhüterin die mehr als nur Weltklasse war. Übrigens nur ganz knapp nicht ins All Star Team der WM gewählt! Und dahinter nochmals 2 Torfrauen der Extraklasse! Dazu noch den einen oder anderen Griff in die Trickkiste, und die Sensation war perfekt.
Gegen Russland auch wieder einen tollen Start, überragende TH Leistung. Fast schon unheimlichen Teamspirit. Entgegen kam uns, dass der russische Captain kurz vor Ende des 1. Drittels eine Spieldauer Disziplinar Strafe einfing. Ein klares, dummes Foul, dass die Sjbornja eine wichtige Spielerin kostete, und uns 1 Tor in Überzahl brachte. Ich muss anfügen, dass wir gegen Russland – abgesehen vom Teamspirit, der Chancenauswertung und dem TH – nicht wirklich gut gespielt haben. Auch ich hatte meinen schlechten Tag. Dann auch eine eher fragwürdige Schiedsrichterleistung. Und trotzdem gewannen wir dieses Spiel. Spontan kann ich auch nicht erklären, warum wir trotzdem als Sieger vom Feld gingen....aber nur spontan...

Ihr steht also vor dem Penaltyschiessen gegen Schweden. Wie kam es zur Wahl der Schützinnen. Mit Rahel Michielin hat ja eine sehr junge Spielerin einen Penalty geschossen. Es war ihre erste WM. Was hast du dir dabei gedacht?
RK: Bereits mit dem Unentschieden hatten wir eine unglaubliche Leistung vollbracht. Alle wollten natürlich mehr. Ich fragte, wer einen Penalty schiessen wolle. Ich bin der Meinung, dass muss in dem Moment von innen kommen. Die Spielerin muss für sich sagen können „Ja, ich schiesse einen“
Es war nicht die Absicht eine Spielerin intensiv zu überreden, um es so auszudrücken. 2 meldeten sich spontan. Also musste ich mich für eine 3. entscheiden. Rahel hat am morgen bei einem internen Spielchen diese Situation erlebt. Die Verantwortung auf den Schultern. Sie lief an und versenkte den Penalty ins hohe Eck. Beim „Auswahl“-Verfahren im SWE Spiel trafen sich unsere Blicke....da war alles klar. Ihr gehörte dieser Schuss. Die Verantwortung dafür bei mir. Sie lief an, wie am morgen, schoss wieder sehr genau. Leider an den Pfosten. Der Torhüter wäre geschlagen gewesen. Niemand machte ihr Vorwürfe. Das war/ist mir wichtig! Im Gegenteil, einfach hinauszugehen als sei es das normalste auf der Welt...

Rahel scheiterte nur knapp. Wie erklärst du dir diese Unbeschwertheit, welche die Jungen ausstrahlten? Ist man da nicht nervös, als 18-Jährige?
RK: Zum einen haben alle „Jungen“ bereits die U 18 WM in Calgary gespielt. Das sind unbezahlbare Erfahrungen. Die sieht man nicht äusserlich. Wohl auch nicht an einem x beliebigen Tag. Die sind tief in einer Spielerin drin. Das sicherlich ein Faktor. Dort wurden sie vom U 18 Staff hervorragend darauf vorbereitet! Danke!
Zudem denke ich, wird ihnen erst nach und nach bewusst werden, welcher Druck, welche Erwartungen auf ihnen gelastet haben. Darüber nachdenken werden sie – werden wir alle – wohl erst nach und nach.
Sie alle haben Geschichte geschrieben! Ist das nicht grossartig?

Dani, die obligate Frage. Wo warst du während der beiden Spiele und wie hast du sie erlebt?
DH: Ich verbrachte die Zeit während der Spiele ausschliesslich bei der Arbeit, was das Ganze nicht einfacher machte. Wenn ich jeweils mit hochgerissenen Armen durch das Sportgeschäft stolzierte, wusste jeder, dass die Schweizer Damennationalmannschaft wieder ein Tor geschossen hat… und dies waren ja nicht wenige! Ich habe auch dem Staff mitgeteilt, dass die Nervenanspannung für zu Hause Gebliebene weit grösser ist als direkt an der Bande steht.

Wie beurteilt ihr also euer Team hinterher? Was war anders, damit es zu so einem Exploit kommen konnte?
MF: Wie oben schon erwähnt entwickelte dieses Team angeführt von erfahrenen Spielerinnen und einem super Captainteam einen Spirit den man nur schwer in Worte fassen kann. Das haben auch Aussenstehende so rückgemeldet. Wir konnten uns glücklich schätzen, sie einfach nur laufen zu lassen und ihnen viel Spass zu wünschen. Den brachten all die Jungen mit. Spass an der Leistung und Freude, dabei zu sein. Der Rückziehmotor war aufgezogen und das Auto ist los gefahren. So etwa!

Was fehlte am Schluss für den Sieg im Medaillenspiel?
MF: Die Feldüberlegenheit der Finninnen war offensichtlich. Auch sie zehrten von einem guten Spirit, hatten viel Mumm aus dem historischen Sieg gegen die U.S.A. mitgenommen. Individuell müssen wir ihnen die besseren Karten eingestehen. Und trotzdem wurde es zur Kopfsache. Da verzogen Finninnen Slapshots aus der Halbdistanz um 2 Meter neben das Tor. Nicht aus Unvermögen, bei Gott nicht, nein, weil ihnen die Knie gezittert haben. Diese Blockade wäre ihr Verhängnis geworden, wären sie nicht mit 1:1 in die 2. Pause gegangen. So aber kehrte das Momentum und sie zwangen das Spiel resultatmässig noch auf ihre Seite. Es war hart, dieses Spiel zu verlieren, aber he, wir reden nicht von irgendeinem Spiel, sondern von einem Medaillenspiel. Unser Auto kam erst in den letzten Minuten des Turniers zum stehen. Und wir werden daraus lernen, denn a) wissen wir jetzt, wie sich das überhaupt anfühlt, ein Medaillenspiel und b) werden wir jetzt halt einfach eine noch stärkere Feder in das Auto einbauen, sprich noch härter trainieren, bis, ja bis wir diese Distanz aufgeholt haben. Ob das gelingt wird sich weisen, den Willen und den Spirit dazu trägt aber jede schon in sich und das ist das wichtigste.

Du durftest ja jeweils an die Pressekonferenzen. Erzähl mal, wie das in China so läuft?
MF: nun, ein mehr oder weniger englisch sprechender Übersetzer leitete jeweils. Die 5 – 10 Journalisten fragten mehr oder weniger Fragen und der Übersetzer jonglierte das dann hin und her. Nach dem Deutschlandspiel etwa hatten wir keine Fragen und durften unverrichteter Dinge wieder abziehen. Nach dem U.S.A.-Spielgab es genau eine Frage und die ging an mich. „Was war das Problem im letzten Drittel (0:4 - Anm. d. Red.)?“ wurde ich gefragt. Die Siegerinnen wurden gar nichts gefragt.
Nach dem Schwedenspiel waren es dann schon ein paar Fragen mehr. Natürlich kämpften Ka und ich mit den Tränen und versuchten so gut wie möglich zu antworten. Dies hat die hartgesottenen Asiaten sehr beeindruckt, so dass das Spiel selbst Nebensache wurde. Es kamen Fragen wie „wie bringt man ein Team zu so einer Leistung?“ und „was sind eure Gefühle jetzt?“ etc. Auch nach dem Russlandspiel keine Frage zum Spiel selbst, sondern zu unseren Methoden, wie wir diese Fortschritte möglich machten und eine weitere, aber dazu später mehr.

Wie war denn das Medienecho zurück in der Schweiz. Hat man die Resultate lesen können, gab es gar Berichte?
DH: In der Nationalen Presse war zunehmend mehr zu lesen und die Artikel wurden immer grösser. In der Regionalen Presse waren eher persönliche Berichte über die Spielerinnen zu lesen. Das Fernsehen beschränkte sich auf die Resultatbekanntgabe während der Playoff Spielen. Umso überraschter war man dann, als ein Kurzbildbericht über das Finnland Spiel über den Bildschirm flimmerte.

Bekam man von dem Rummel etwas mit in China?
PS: Ja wir haben diverse Glückwünsche aus der Heimat erhalten, was uns sehr gefreut hatte!
Diese kamen per Mail oder sms oder Kontaktformular unserer Website und ich habe diese jeweils sehr gerne ausgedruckt und dem Team weitergeleitet!
Wir unsererseits haben versucht unsere Eindrücke über den Blog, welcher die Hockeyfans auf www.hockeyfans.ch netterweise aufgeschaltet hatten, zu übermitteln und somit unsere Freunde, Fans, Familien und allen anderen Interessierten auf dem Laufenden zu hakten was wir in China so erlebt hatten.
Ich denke dies war bestimmt auch eine sehr gute Sache und sollten wir für kommende Turniere unbedingt wieder so realisieren.

Was habt ihr am Abend nach dem letzten Spiel eigentlich gemacht. Geht man da früh schlafen oder feiert man den Erfolg?
PS: Tja auch da galt das Motto zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen!
Da wir ja erfreulicherweise bis ins Bronzespiel vorstossen konnten, hatten wir bis einen Tag vor Abreise noch im Einsatz gestanden und die 1000 kg Fracht musste entsprechend gepackt und vorbereitet werden, da der Lastwagen dann am nächsten Tag um 12:00Uhr vor dem Hotel bereit war alles aufzuladen.
Deshalb habe ich bis etwa 3 Uhr Morgens meine Frachtkisten gepackt und erst dann müde aber zufrieden etwas gefeiert und mich auch als „Singstar“ geübt.

Wie gestaltete sich die Rückreise? Lief alles glatt oder gab es Probleme?
PS: Die Rückreise war von Harbin nach Peking noch problemlos.
In Peking aber zeigte sich einmal mehr, dass in China eben alles etwas anderst ist, als wir uns dies gewohnt sind!
Einerseits waren die Angestellten an den Check in Schaltern nicht wirklich speditiv und mit einer solch grossen Gruppe offensichtlich etwas überfordert und Andererseits ist eben ein e-ticket in China anscheinend noch etwas ungewohnt und so gestaltete sich das einchecken derjenigen, welche den Ausdruck des e-tickets in Papierform nicht dabei hatten als Nervenprobe aufs Äusserste!
Nachdem ich die Coaches mit dem gros des Teams zum Gate geschickt habe, musste ich beruhigen und erklären und gut zureden, dass man auch eine Bordkarte erhält, wenn man mit dem Namen gemäss Pass und der Zieldestination im Computersystem nachschaut.
Aber eben erklär dies mal einem Chinesen oder Chinesin, welche anders geschult wurde und zudem nur sehr schlecht englisch spricht!
Nun ja 20 Minuten vor Abflug waren dann auch die Letzten im Besitze einer gültigen Bordkarte und wir konnten uns wieder dem restlichen Team anschliessen!
Ab da war dann wieder alles glatt gelaufen und zu meinem Erstaunen ist dann auch das gesamte Material in Kloten angekommen!

Was hast du spontan gedacht, als du die vielen Leute am Flughafen in Zürich gesehen hast?
RK: Wow! Gefreut für die Spielerinnen und den Staff. Gefreut für ihre Angehörigen, unsere Familien. Sie alle haben es sich verdient. Ja, Freude....aber bereits auch der Gedanken, wie es weitergeht... Da ist man ein Moment richtig sprachlos. Ich möchte mich nochmals bei allen recht herzlich für den Empfang bedanken! Das Team hat es sich verdient, und hey...Fraueneishockey in der Schweiz lebt!  

Hast du damit gerechnet?
RK: Wenn ich ehrlich bin...nein. Ich dachte „Montag morgen“, wer wird da schon kommen? Unsere Familien, dann Verbandsvertreter.
Einmal mehr hat das Fraueneishockey in der Schweiz bewiesen, dass da mehr ist! Dass es lebt. Dass es Potential und Zukunft hat! Da kriege ich Gänsehaut...

Und nun, wie geht es weiter? Was sind die nächsten Termine?
RK: Wir haben einen langen steinigen Weg hinter uns....aber vor uns liegt ein noch längerer, noch steinigerer Weg. Wir wollen ihn gehen. Wir sind nun die Nummer 5 der Welt....ist das nicht der Wahnsinn? Mit unseren Mitteln?
Die Spielerinnen sollen erst einmal durchschnaufen. Die Seele und den Körper baumeln lassen.
Geplant ist am 15. Juni 08 in Langenthal eine grössere Kick Off Veranstaltung zum Thema Vancouver 2010 durchzuführen. Wir haben uns bereits vor der WM in Harbin Gedanken gemacht wie die Saison 08-09 aussehen könnte. Logischerweise gab es immer mehrere Szenarien. Umso schöner für uns alle, dass wir nun die weniger komplizierte Variante fertig planen können. Wie gesagt: 15 Juni 08 wird für alle ein wichtiges Datum! Spielerinnen; Eltern; Klubs; Verbände etc. Dass sollten sich alle dick rot anstreichen! 

Was erwartet euch in der kommenden Saison?
MF: wir hoffen, das wir unsere Camps meist mit Länderspielen ausstatten können. Das wird aber zur Zeit noch verhandelt. Zudem hoffen wir, dass unsere Anfragen bei stärkeren Gegnern jetzt vermehrt gehört werden. Dann natürlich erwarten wir, an den Air Canada Cup gehen zu können, sofern das OK einen neuen Hauptsponsor finden kann und ebenfalls, dass wir den Mountain Cup weiterführen können.

Welche Gegner habt ihr an der nächsten WM in Finnland?
MF: Sollte alles beim 9er-Pool bleiben, so wären das Finnland und Kasachstan.

Eure Chancen?
MF: Kasachstan besteht aus einem Klubteam welches das ganze Jahr über zusammen trainiert. Eine pikante Aufgabe, haben sie uns doch noch in Lausanne mit 3:0 geschlagen. Siege gegen sie sind möglich aber müssen hart erarbeitet werden. Finnland wird seinen Heimvorteil rigoros nutzen und wird ein sehr harter Prüfstein werden.

Wirst du nächstes Mal wieder dabei sein?
DH: Davon bin ich überzeugt! Ich werde alles daran setzen, denn noch einmal eine solche Nervenprobe auf Distanz möchte ich nicht noch einmal durchmachen :)

Du hast jetzt viel erreicht in kurzer Zeit. Müde? Oder voller Energie?
RK: Beides...der Jet Lag haut mich weg - ). Das war nicht ich alleine, da gab/gibt es ganz viele Personen und Institutionen die ihren Beitrag geleistet haben und immer noch leisten. Einige musste man intensiver „überzeugen“, andere weniger.
Denken nach rückwärts bringt niemanden vorwärts. Also denke ich nach vorne. Ich habe in der Vergangenheit oft gehört...“Unmöglich“....“geht nicht“.....“keine Chance...“ usw. Dies werde ich auch zukünftig hören. Nun, dann liegt es an uns, es möglich zu machen. Oder Alternativen zu finden. Manches geht länger, manches weniger....sorry, bei mir gehen schon wieder die Gedanken durch...ja wenn ich nach vorne denke, dann voller Energie...und das ist für mein Umfeld manchmal schwierig - ) 

Wenn jeder den prägendsten oder eindrücklichsten Moment der WM erzählen müsste, welcher wäre das und warum?
PS: Da muss ich nicht lange überlegen, das war ganz klar der entscheidende gehaltene Penalty von Flo gegen Schweden, als ich mit Dani live am Telefon Reporter gespielt habe!
RK: Da gäbe es so viele! Nur 1nen? Für mich? Die 2. Pause im Spiel gegen Deutschland....warum? Das bleibt bei mir..sorry, klare Abmachung. Internes bleibt intern!
MF: Merci René wollte ich auch gerade :) – aber da gibt es noch einen Moment abseits des Geschehens. An besagter Pressekonferenz nach dem Russlandspiel stand ein japanischer Journalist auf, der schon in den Spielen vorhin einige Fragen stellte. Er fragte mich „unserem japanischen Team ist es ja nicht so gut gelaufen hier. Was muss unser Team machen um so zu werden wie ihr? Ihr seid Vorbilder für uns!“ Trotz meiner in jenem Moment gespielten Lockerheit hatte ich die Tränen zu vorderst. Was für ein grösseres Kompliment kann es geben als das…?
DH: Das live am Telefon erlebte Penaltyschiessen gegen Schweden – DANKE Pipo!

René, Pipo, Dani, Michi. Herzlichen Dank für eure Zeit und viel Erfolg in der neuen Saison.

Frauennati.ch wird weitere Interviews zur vergangenen WM schalten. Schauen Sie also bald wieder vorbei.

Ebenfalls ist unsere Homepage bald ein Jahr auf dem Netz. Haben Sie Bemerkungen und/oder Vorschläge? Gerne nehmen wir ihre Feedbacks entgegen. Benutzen Sie dazu einfach das Kontaktformular auf der linken Seite oder schreiben Sie an info[at]frauennati.ch. Herzlichen Dank.