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Friday, 08. April 2016 22:08

 

Der etwas andere WM-Rückblick und...

Es ist Zeit zurückzublicken. Zurück auf eine WM, welche für die Schweiz mit dem schlechtesten Resultat der letzten 7 Jahre endete. Letztmals auf dem siebten Rang endete man in Hämeenlinna (FIN) 2009, als man den Abstieg in extremis verhinderte und China und Japan absteigen mussten... Und auch damals gab das WM-Format zu reden...

Aber von Anfang an. Noch im November 2015 stimmte im Setup der Schweiz nicht viel. Gegner wie Russland und Tschechien dominierten die Eisgenossinnen nach Belieben, Erzrivale Deutschland konterte die Schweiz gnadenlos aus. Mit nur dem einen Sieg gegen die drittklassige Slowakei machte man sich auf den Heimweg.

Der Verband erkannte die Lage rasch und tauschte den Headcoach aus. Während der Saison. Ein Novum in diesem Jahrtausend. Doch leider notwendig. Das Resultat? Titelverteidigung in Amiens (FRA) im Dezember. Und wieder Ernüchterung im Januar mit 3 Niederlagen in Füssen (GER). Und doch ging ein Ruck durch die Reihen.

Mit 2 arrivierten Spielerinnen, welche ihr Comeback gaben verkam der Mountain Cup zum Schaulaufen. Ein späte, aber nicht zu späte Kehrtwende im Spiel der Schweizerinnen.

Denn es zeigte sich, dass dies wohl ein noch schlechteres Resultat in Kamloops verhinderte. Mit all diesen neuen Kräften gelang es gerade mal den Abstieg zu verhindern. Und obendrauf verpasste man dazu die direkte Qualifikation für Pyeongchang 2018.

Alles schlecht?

Bei weitem nicht!
In den letzten Jahren wurde die Schweiz an einer WM wohl noch nie so schlecht für gute und aufopfernde Arbeit belohnt wie in Kamloops. Trotz deutlichem Chancenplus verlor man gegen Tschechien mit 1:3. Und in den Gesichtern der Osteuropäerinnen war die Überraschung abzulesen. Noch im November von derselben Truppe dominiert wurden die Tschechinnen im ersten Drittel von den Schweizerinnen regelrecht überfahren.
Aber: das Tor fiel nicht.
So musste ein Sieg her gegen Schweden da die Tschechinnen Japan im Penaltyschiessen bezwangen. Einen Sieg hatte man auf dem Stock, scheiterte nur Sekunden vor dem Schlus aber am schwedischen Goalie. Das Schussverhältnis bis dahin mit nur einem Abschlussversuch Unterschied.

Die Stärke dieses Teams in dieser Ausgangslage zeigte sich nur 18 Stunden später als man Japan im ersten Relegationsspiel mit 3:1 bodigte und mit 4:0 im zweiten Spiel definitive versenkte. Die Schweiz liess dabei während 118 Minuten keinen Gegentreffer mehr zu. Und wer Japan kennt und wie sie ein Jahr zuvor Deutschland in die Div. IA schickten, der weiss von welcher Leistung man hier spricht. Und dies notabene unter verletzungsbedingtem Verzicht auf eine Stürmerin der ersten Linie.

Im Goaltending auf Platz zwei des Turniers, im Powerplay immer noch auf dem Podest und mit zwei Spielerinnen in den Top 3 der Skorerliste. Ja, die Schweiz machte vieles richtig in Kamloops. Und wurde schlecht belohnt.
Doch gleichwohl anerkannt mit der Wahl der Topskorerin ins Media All Star Team.

Wenn man trotzdem lacht... So kann man die Gefühlslage beschreiben, welche die Schweizer Delegation mit auf den Nach Hause-Weg nahm. Denn dieses Team kann mehr. Dieses Team steht erst am Anfang. In Kamloops ist unter dem Schatten des Resultats etwas ganz Grosses gewachsen. Und es hat Hunger. Hunger auf Erfolg.

Und dieser Hunger wird gestillt. Schon nächste Saison.

 

Quo vadis WM-Format?

Um es vorweg zu nehmen: auch die Schweiz profitierte schon vom aktuellen WM-Format. In Sotschi holte sie sich mit zwei Siegen Bronze. Wie in Kamloops Russland. Mit dem einzigen Unterschied, dass die Schweiz in Sotschi nicht in allen relevanten Teamstatistiken auf den beiden letzten Plätzen des Events lag wie die Sbornaja in Kanada.

Gerecht? Egal! Eher smart. Headcoach Chekanov schätzte die Lage richtig ein und kaufte sich mit einem einzigen Sieg drei Jahre Teilnahme am jährlichen Topevent. Dem Format sei Dank! Und ein weiterer getimter Sieg brachte ihm Bronze!
Die Schweiz gewinnt 3 aus 5 Spielen und steigt nicht ab. Gerecht? Egal!

Das Format will es so, denn die beiden Grossmächte wollen es so. Und der internationale Verband fürchtet die Ächtung des IOC.
So hat man diesen Spezialfall kreiert und alle sind glücklich. Oder?

Nein! Denn das Resultat hat sich nicht geändert. Und sogar verschlechtert.
Deshalb ist handeln angesagt. Schnell!

Doch von Anfang an.

Das Elend nahm seinen Anfang 2005 und mit der schon beschriebenen russischen Landesauswahl. Sportlich abgestiegen fand man am grünen Tisch einen Weg, die Russinnen in der Top Division zu halten. Wie? Man änderte das WM-Format. So gab es 2007 9 Teams in der obersten Klasse, eingeteilt in drei Gruppen. 2 Vorrundenspiele für ein Halleluja. Mit grosser Chance auf einen ganz Grossen zu treffen (damals Kanada, USA, Finnland und Schweden). Chance auf einen Platz in der Abstiegsrunde bei 33%. Oder besser gesagt bei 50%, denn der Grosse geriet ja kaum in Gefahr.
Eine WM mit einer ungeraden Anzahl Teams. Wo gibt's das denn? Bei uns...

Es dauerte nochmals zwei Jahre bis die letzte WM mit 9 Teams gespielt wurde. Wer 2009 in die Abstiegsrunde kam hatte bereits 66% Chance abzusteigen. Und in der Vorrunde immer noch dasselbe Bild. 3 Gruppen à 3 Teams.

2010 dann Rückkehr zur Normalität. 2 Gruppen à 4 Teams, die beiden Gruppenersten standen im Halbfinal, die beiden letzten Mannschaften spielten die Ränge 5-8 aus. Resultat? Missstimmung wegen den Blowouts, Spielen also mit 5 oder mehr Toren Differenz. Und hier setzt nun der Blick in die Statistiken ein, welche verraten werden, dass sich unabhängig des Formats nicht geändert hat.

In Vancouver gab es in jedem Spiel, ausser im Finale, in welchem entweder Kanada oder die U.S.A. spielten, einen Blowout. In allen 8 Spielen welche die beiden Teams gegen nicht Nordamerikanische Teams spielten. Die Total Blowoutrate über alle Spiele lag bei 45%! Zuviel für die IIHF. Eine Änderung musste her, egal wie.

2011 in Zürich/Winterthur dann die letzte herkömmliche WM mit gleichen Chancen für alle. Einzig mit dem Twist, dass ein Viertelfinale eingeführt wurde. der Gruppenzweite spielte gegen den Dritten der anderen Gruppe ein Spiel um den Einzug ins Halbfinale. Sportlich gerecht? Auf jeden Fall. Blowoutrate der Nordamerikanerinnen = 80%. Blowoutrate total 33%. Immer noch zu viel...

So trat 2012 die bekannte Änderung in Kraft. Eine Gruppe A mit 4 Teams und automatischem Schutz vor dem Abstieg. Eine Gruppe B mit 4 Teams und 50% Chance, in die Abstiegsrunde zu gelangen.
Wo gibt es das sonst?

Hat es etwas gebracht? Nein!

Wieso?
Die Erfinder dieses "Unsinns" schmücken sich damit, dass die Spiele spannender geworden sind und die Blowoutrate sich verringert hat. Das stimmt!
In Kamloops lag sie nur noch bei 66% wenn Nordamerikanische Teams eingriffen. Jetzt wo sie ja nur noch gegen Topteams antreten müssen... Die Blowoutrate total lag bei 25% oder jedem 4. Spiel...

Doch hat es am sportlichen Ausgang etwas verändert? Nein! Das Finale heisst nach wie vor USA-Kanada. Die Entwicklung ist stehen geblieben.

Wieso?
Blickt man hinter die Zahlen der Blowouts und der angeblich engeren Spiele, so sieht man schnell das alles nur Schall und Rauch ist.
Der Erfolg des Systems liest sich nicht mit der Blowoutrate sondern mit Puckbesitz, Chancen und Schussverhältnis. Da es zu den ersten beiden Topis keine Zahlen gibt hat sich der Schreibende um die Schusszahlen bemüht. Ausgewertet von 2010 bis 2016 ergibt sich dasselbe Bild. Im Schnitt schossen die Nordamerikanerinnen 2010  52 mal auf das Tor des Gegners nicht nordamerikanischer Herkunft. 2011 gar 62 mal! Die Gegner kamen dabei auf 12, resp. 15 Schüsse. In den 3 Jahren nach Einführung des neuen Formats, also inkl. den Spielen in Sotschi, lag der Wert immer noch auf dem Niveau von Vancouver! Und hat sich bis Kamloops nur unwesentlich "verbessert". Und somit wird sich auch nichts ändern...

Sportlich gesehen ist der neue Modus gescheitert. Denn einzig ausserordentliche Efforts der Goalies verhindern höhere Blowoutsraten wie anno 2010 oder 2011. Doch vom Wettbewerb her ist das Format schlicht untragbar.

Wieso?
Die Teams in der Gruppe A geniessen Nestschutz. Der erste Ernstkampf ist das Viertelfinale oder das vierte Spiel in 5 Tagen. Die beiden nominell stärksten Teams treten am Tag 1 gegeneinander an und sichern sich in den beiden Spielen darauf die direkte Halbfinalqualifikation gegen die beiden nominell schwächeren Teams praktisch im Schongang. Da sich diese ja für die Viertelsfinal nicht verausgaben wollen. Blowoutrisiko? Hoch.
In der Gruppe B kämpfen die Teams zuerst gegen die Abstiegsrunde und müssen wie in Kamloops bis in die letzte Sekunde zittern. Mit der Euphorie der Qualifikation folgt ein menthales und körperliches Loch just dann wenn es zählt. Beweis? Malmö und Kamloops. "Ausgeruhte" A-Teams treffen auf ausgelaugte B-Teams und schlagen diese ohne Mühe. Passiert ist es Schweden, der Schweiz und Tschechien. Je zwei Siege in der Tasche und im Viertelfinal chancenlos gegen Teams mit einem, resp. keinem Erfolg.

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Man kann ja sagen "strengt euch mehr an, es haben es ja auch schon Teams aus der Gruppe B ins Halbfinale geschafft".

Das ist richtig, aber nimmt nicht auf die sportliche Entwicklung Rücksicht. Wir bewegen uns auf eine Zweiklassengesellschaft zu und das ist fatal. Denn es hemmt die gesamte Entwicklung auch in der unteren Liga.

Mittlerweile ist die Div. IA zu einem sportlichen Höllenritt geworden. Round Robin und jedes Spiel absolut eng und entscheidend. Mal durchhängen lassen? Verboten! Teams wie Frankreich, Norwegen und Österreich haben noch nie oder seit 20 Jahren nicht mehr in der Top Division gespielt, Japan und Deutschland straucheln immer mal wieder mit ihrer Zugehörigkeit in der obersten Liga.
Und das sollte vom Niveau der Teams her gesehen einfach nicht sein.

Es braucht einen Schritt nach vorn, mutig und weitsichtig!
Es braucht einen Modus ähnlich wie an der Herren U18- resp. U20-WM.
2 Gruppen à 5 Teams.
Vorrunde Round Robin, danach Viertelsfinals übers Kreuz. Wer nach den 4 Spielen immer noch auf dem letzten Platz ist spielt eine Best-of-Three gegen den Abstieg.

Die Aufstockung bringt den professionellen Programmen der Top Div. IA-Teams endlich eine grössere Chance auf eine Teilnahme in der Top Division und zudem Spiele gegen die ganz grossen Teams. Das pusht und ist auch marketingtechnisch absolut interessant. Was heisst das für die Entwicklung des Fraueneishockeys in Österreich, Norwegen oder gar Dänemark, wenn man gegen Kanada spielt. Wie geht es in Frankreich ab, wenn Ende Saison die USA warten? Kann sich ein asiatisches Team (und mit ihm der wichtige Markt in Fernost) endlich dauerhaft im "A" halten? Muss Deutschland nicht mehr Lift fahren?

Sportlich und marketingtechnisch gesehen muss dies der Schritt sein! Eine WM in 8 Tagen mit 6 Spielen durchzuboxen kann nicht mehr das Wahre sein. Eine sportliche Zweiklassengesellschaft darin noch weniger.
Öffnen wir uns und hoffentlich die Verbände für einen Schritt in die Zukunft, für eine Top Division WM mit 10 Teams! 

Ach ja, da war noch das Thema Blowouts...
Ja, diese Zahl wird sich wieder erhöhen! Zwangsweise. Aber da das aktuelle Format ja auch keine Besserung in der krassen Überlegenheit der nordamerikanischen Teams gebracht und die Blowoutgefahr ist bei den einseitigen Schussverhältnissen weiterhin latent.
Solange über 80% aller Spielerinnen der Welt aus Nordamerika kommen wird es auch in absehbarer Zeit keine "Turins" mehr geben. Der letzte Sieg gegen die USA datierte auf 2008! Das war Finnland damals.
Kanada hat gar noch nie ein Spiel nicht nach 60 Minuten gewonnen. Ausser gegen die USA.
Also kann man sich diese Diskussion schenken. Es wird auch weiterhin zu Blowouts kommen, Format hin oder her.

PS: rückblickend auf die letzten beiden Austragungen der Herren U18- resp. U20-WM kann man festhalten, dass die Blowoutrate im Schnitt bei 25% liegt. Und redet man dort von einem Moduswechsel?

 

Gute Nacht da draussen, wo immer ihr gerade seid.

Kommentare nimmt info[at]frauennati.ch gerne entgegen.