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vl: Christine Meier, Kathrin Lehmann, Monika Leuenberger

Tuesday, 20. May 2008 23:17

 

Grosses Interview zur WM mit dem Captainteam

Nach der WM in Harbin wollte frauennati.ch natürlich nicht nur von den Coaches wissen, was in China abging, sondern auch von den Spielerinnen. Stellvertretend dafür führte frauennati.ch ein Gespräch mit dem Captain-Team.

Frauennati.ch: Hallo zusammen, es sind nun bereits wieder ein paar Wochen vergangen, seit diesen triumphalen Tagen im Fernen Osten. Danke dass ihr euch die Zeit nehmt um uns ein paar Antworten zu liefern. Ka, ich darf dich doch bei deinem Spitznamen nennen, oder? Ka, gerade heraus gefragt, was war mit euch in Harbin los, dass so ein Exploit möglich war?
Kathrin Lehmann (Ka), Captain: Natürlich darfst du – wenn mich im Sport jemand „Kathrin“ nennt, dann denke ich immer jemand anderes sei gemeint..
Was mit uns los war? Wir haben einen hervorragenden Staff gehabt, der uns Anweisungen gab, denen wir blind – oder mit „bizli Blinzlä“ – gefolgt sind. Und gerade diese Mischung aus guten Guidelines und Eigenkreativität hat uns zusammen geschweisst und erfolgreich gemacht.

Grossartig! Wie hast du das bei den anderen Teams erlebt? Welchen Eindruck machten sie auf dich/euch?
Ka: ich glaube, dass keine andere Nation sich so gefreut hat wie wir, dass die WM in China statt fand. China war für uns ein gutes Pflaster und man konnte regelrecht spüren, dass wir uns auf diese Herausforderung auf und neben dem Eis gefreut hatten. Wir wussten egal, was passiert: Wir haben uns – und das ist viel! Und ich glaube gerade diesen Gedanken trugen wir als einziges Team in unserem Herzen. Dies hat uns von allen Nationen unterschieden und unberechenbar und stark gemacht.

Mo, auch dir darf ich sicher so sagen, oder? Wann merkt man eigentlich als Team in einem Turnier, dass etwas aussergewöhnliches drin liegen kann?
Monika Leuenberger (Mo), Assistenzcaptain: Schwierige Frage. Meiner Meinung nach merkt man als Team nicht direkt, dass etwas aussergewöhnliches drin liegt. Es scheint mir viel mehr so, dass man spürt, dass neben den grossen auch die kleinen Dinge stimmen. Dass man als einzelne spürt, dass wirklich jede/jeder seinen Job macht und diesen gut und richtig. So sind es am Ende viele kleine Puzzle-Teile die sich zu einem Ganzen zusammenfinden und plötzlich stehst Du vor dem fertigen Bild und musst erkennen: „Wow, das haben wir erreicht!“

Du bist ja jetzt alleinige Weltrekordhalterin in Sachen Anzahl Jahre zwischen der ersten und der diesjährigen Teilnahme an einem A-Turnier. 18 Jahre sind es nun, während denen du an Weltmeisterschaften teilgenommen hast. Bist du dir dessen bewusst?
Mo: Eigentlich nicht wirklich. Denn in der Garderobe ist das Alter grundsätzlich kein Thema. Doch je nach CD die in die Stereoanlage eingelegt wird muss ich doch feststellen, dass ich zu einer anderen Generation gehöre  :-)

Chrigi, auch dein Spitzname sei mir hoffentlich erlaubt, es war das erste Medaillenspiel an Weltmeisterschaften für die Schweiz. Was ging dir nach dem Spiel gegen Russland durch den Kopf?
Christine Meier (CM), Assistenzcaptain: Zuerst einmal war ich erleichtert, dass wir den Match mit viel Kampfgeist und Siegeswillen gewinnen konnten. Unmittelbar nach dem Spiel konnte ich noch nicht so richtig fassen, was wir soeben erreicht haben. Erst am Abend im Bett, als ich das Ganze Review passieren liess, konnte ich es begreifen.

…und was waren deine Gedanken zum Medaillenspiel?
CM: Erwarte nichts – gib alles :)
Für mich persönlich stellte Finnland das beste Team an dieser WM und darum habe ich ihnen immer sehr gerne zugeschaut, wenn sie Match hatten. Plötzlich steht man selber im Medaillenspiel – eben gegen Finnland. Gut war auch, dass der ganze Druck auf Finnland lastete und nicht auf uns. Wir hatten schon gewonnen.

Nach der Vorrunde war klar, ihr würdet direkt für die olympischen Spiele in Vancouver 2010 qualifiziert sein. Wie habt ihr davon erfahren und was ging dir dabei durch den Kopf?
Ka: ich bin ein „grosser Rechni“. Ich hatte alle Szenarien durchgerechnet und wusste, dass es reichen würde, wenn wir die Deutschen schlagen. Daran gedacht habe ich aber während des Spiels überhaupt nicht. Da ging es nur um die WM. Aber es war ein sehr schönes Gefühl, als Michi uns nach dem Deutschland-Spiel gesagt hat “...egal wie man es rechnet: wir sind dabei!“ ich bekomme jetzt noch Hühnerhaut wenn ich an diese Situation denke.

Denkst du, hat euch dieser erste Sieg gegen Deutschland beflügelt oder war das ein normaler Sieg im Turnier?
Mo: Vielleicht nicht beflügelt aber sicher befreit. Die Spiele gegen Deutschland hatten in den letzten Jahren immer einen wegweisenden Stellenwert. In diesem Sinne war es eben auch kein normaler Sieg im Turnier sondern eben ein Sieg gegen Deutschland.

Gleich am anderen Tag kam das Spiel gegen die U.S.A. und eine erwartete, deutliche Niederlage. Zweifelt man danach an sich oder gehören Niederlagen gegen die U.S.A. schon fast dazu?
CM: Nein man zweifelt nicht an sich. Es ist klar, dass solche Nationen besser sind und wir uns mit der Defensive beschäftigen. Geärgert hat mich, dass wir zwei Drittel dagegen halten konnten und dann noch das eine oder andere Tor in Kauf nehmen mussten. Denn wir haben wirklich sehr gut gespielt und die Schiedsrichter liessen sich teilweise auch etwas beeinflussen von „grossen“ Nationen. Aber wir haben uns durchgekämpft und einen positiven Eindruck hinterlassen.

Du spielst seit 2 Jahren in Schweden bei AIK Solna. Wie war es nun, gegen deine Kolleginnen zu spielen und vor allem, wie fühlte es sich an, mit insgesamt 3 Toren am sensationellen Sieg gegen Schweden beteiligt gewesen zu sein?
Ka: ich kann in Worten nicht erklären, was dieser Sieg für die Schweiz und natürlich für mich persönlich bedeutet. Es war schön gegen 7 Mitspielerinnen zu gewinnen, die die „Schweiz nie für voll nahmen“. Dass mir ausgerechnet noch 2 Tore und der entscheidende Penalty gelang macht für mich das Spiel unvergesslich. Der Respekt gegenüber mir ist horrend gestiegen. Dieses Spiel ist sicherlich einer meiner Höhepunkte in meiner Eishockey-Karriere.

Wie kam es eigentlich dazu, dass du den ersten Penalty geschossen hast. Wolltest du diesen Schuss oder wurde das bestimmt?
Ka: ja, ich wollte ihn! Ich glaube, ich hätte René geschlagen, wenn er ihn mir nicht gegeben hätte. Ich hatte viel Selbstvertrauen aufgrund der zwei Tore während des Spiels und vor allem auch, weil ich mit Flo, unserer Torfrau in den Trainings, geübt habe. Und wenn ich den Penalty gegen Flo versenke, dann versenke ich ihn gegen jede Torfrau der Welt. Ich wusste, dass ich treffen würde – und wollte den ersten Penalty schiessen, weil es gleich noch einmal ein mentaler Knick für die Schwedinnen war „schon wieder Lehmann!“.

Zum Russlandspiel gibt es festzuhalten, dass sie wesentlich mehr Schüsse auf euer Tor abgaben als ihr auf ihres. Wie spürt man diesen Druck als Verteidigerin?
Mo: Natürlich will man in solchen Situationen nicht diejenige sein, die den Fehler begeht und ein Gegentor provoziert. Gerade wenn dann noch Strafen ausgesprochen werden und man in Unterzahl agieren muss ist es eine Nervenfrage. Doch ich denke nicht, dass Verteidiger den Druck anders spüren als Stürmer. Jede hat auf dem Eis ihre definierte Aufgabe die es unabhängig vom Spielstand zu erfüllen gilt. Im weiteren haben gerade in solchen engen Spielen die Coaches auf der Bank einen unglaublich guten Job zu machen. Wie man am Endresultat sieht hatten sie ein sensationelles Fingerspitzengefühl.

Du warst ja an einer der Schlüsselszenen in jenem Spiel beteiligt. Nämlich als der russische Captain nach dir trat und anschliessend mit einer Matchstrafe belegt wurde. Wie hast du die Szene erlebt?
Mo: Der Puck ging auf's Tor und ich wollte mich zu Florence drehen um Smolentseva abzublocken. Eine andere Russin hielt aber meinen Stock fest und so liess ich diesen los und drehte mich mit etwas Schwung. Dabei muss ich den russischen Captain gestossen haben so, dass sie auf unsere Torhüterin und vor allem auf deren Stock und Schlittschuh viel. Sie hat sich beim Sturz weh getan und dann, vielleicht auch durch die Anspannung des Spiels, einfach mal kurz die Nerven verloren. Ihr Pech, dass der Linesman gleich daneben stand.

Ihr habt im Bronzespiel nach 20 Minuten mit 1:0 geführt. Wie habt ihr das erlebt? Gab das Druck auf euch?
CM: Ah dieses Tor zum 1:0 war sensationell! Es gab uns Kraft, Wille nochmals Gas zu geben, den Extraschritt zu laufen und an das Wunder zu glauben.

Du hast beim Stand von 1:3 mit einem Sololauf über das ganze Feld fast noch das 2:3 Anschlusstor gemacht. Wie war das, als der Puck leider nur an die Querlatte ging?
CM: Das hat mich sehr „gewurmt“, denn wenn wir das Anschlusstor erzielen hätten können, wäre vielleicht auch noch das 3:3 gefallen… was wäre wenn… 

Gehen wir neben das Eis. Wie war die Unterkunft für euch im selben Hotel wie alle anderen Teams. Gibt es da besondere Momente oder erträgt man seine Gegnerinnen am Nachbartisch einfach so?
Ka: wir hatten Glück, dass wir mit den Schwedinnen noch die angenehmste Mannschaft neben uns als Tischnachbarn hatten. Sie beachteten uns sowieso nicht so gross – erst nach dem Spiel gegen Sie, aber dann war für sie das Turnier vorbei und sie hatten andere Essenszeiten als wir :).  Generell beachtete ich die Gegnerinnen nicht sonderlich. Wir Schweizerinnen assen immer geschlossen. Wir waren auch die einzige Mannschaft, die immer nur an 2 Tischen assen – alle anderen sassen an drei, vier Tischen. Bei uns waren also immer rege Tischgespräche – und vor allem auch Tischgelache.

In 18 Jahren, wie ist das mit dem Essen. Gab und gibt es immer dasselbe auf den Tisch oder hat die Küche auch mal was abwechslungsreiches gezaubert?
Mo: Der Speiseplan ist natürlich immer auch abhängig davon, in welchem Land das Turnier ausgetragen wird. So wurde mir während meiner Karriere schon manch spannendes Menue vorgesetzt. An Weltmeisterschaften ist es aber eigentlich immer so, dass man sich an einem Buffet bedienen kann und dort findet meist jede etwas das ihr schmeckt. Die jüngsten Veranstalter schienen aber eine besondere Vorliebe für Broccoli und Rüebli zu haben.

Wie hast du die Stadt erlebt, wie ist China für eine/n Fremde/n?
CM: Andere Länder – andere Sitten. Ich glaube mit diesem Motto lässt sich alles klären. Es ist natürlich nicht zu vergleichen mit einem europäischen Land. Smog, verdreckte Luft, penetranter Duft überall, spezielles Essen, gefährlicher Verkehr u.s.w
Ja, es waren schwierige Umstände, aber da wir nicht das erste Mal in China waren, wussten wir in etwa was auf uns zu kommen wird und sind vom Staff auch dementsprechend vorbereitet worden.

Ihr seid alle wieder zurück im Alltag, was waren die Reaktionen hier in der Schweiz, resp. in Schweden?
Ka: ich habe unendlich grossen Respekt erhalten. Sowohl von den Eishockeyspielerinnen, sowie auch von den Fussballerinnen. Auch in den Medien erhielt ich grosse Aufmerksamkeit und vor allem Respekt. Schweden ist eine Sportnation. Eine Leistung wird mit Anerkennung honoriert, die bleibt. Man vergisst hier nicht, was wir Schweizerinnen geleistet haben – und dass mir drei Tore gelangen.

Keine negativen Bemerkungen in Schweden?
Ka: Nein – nur, dass ich meinen Kabinenplatz bitte räumen soll :)

Und bei dir, was ging ab nach der Rückkehr?
Mo: Nun der Empfang am Flughafen war schon eine ganz tolle Sache! Ich bekam dann auch  Mails mit Glückwünschen und meine Eltern erzählten, dass sie einige Male auf unser Abschneiden hin angesprochen worden waren.

Wie kamst du wieder in den Alltag, wie in den Job, die Schule etc? Ist das nach so einem Erlebnis besonders schwer?
Mo: Für mich ist es immer schwer aus der Nati nach Hause zu kommen. Unabhängig vom Resultat. Man kommt aus einer anderen Welt. Am Flughafen gibt es dann einen Knall und jede/jeder verschwindet zurück in den Alltag. Es ist wie aus einem Traum geweckt zu werden. Ich brauche da auch schon mal eine Woche um los zulassen und auch im Kopf wieder Heim zu finden.

Was hattest du für Reaktionen?
CM: Von allen Seiten gingen sehr positive Reaktionen ein und man merkt, dass durch unsere konstant guten Leistungen das Frauenhockey erfreulicherweise in der Öffentlichkeit vermehrt wahrgenommen wird.

Du musstest früh wieder an die Arbeit. Wie hast du den Jet Lag verarbeitet?
CM: : Ja, ich musste am Dienstag nach drei Wochen „Traumwelt“ wieder Arbeiten gehen. Es war sehr schwer wieder in den Alltag einzusteigen, da ich erst das Geschehene verarbeiten musste und wollte. Mental bist du immer noch im Team bez. an der WM und eigentlich bis du „back in the real life“.  Am Anfang hatte ich ein bisschen Mühe mit dem Jet Lag. Nachmittags war meine Batterie jeweils leer. Mit der Zeit hat sich aber auch das wieder eingependelt.

Nächstes Jahr geht’s nach Finnland. Was erwartest du dort? Werden die Bedingungen anders sein?
Ka: Die Bedingungen muss man akzeptieren oder so gut es eben geht zurecht biegen. Fakt ist, dass uns „little Swiss“ nun jeder auf der Rechnung hat. Wir werden keinen Exploit mehr im Stillen vorbereiten können. Es wird ganz schwierig, die WM 2008 zu bestätigen.

Machst du dir schon Gedanken über die Vorrundengegner Kasachstan und Finnland?
Mo: Augenblicklich denke ich noch nicht ganz so weit. Es wird aber wohl nie an einer A-WM einfache Spiele geben. Doch ich vertraue darauf, nein ich weiss, dass René Kammerer und der Staff der Nati uns in einem Jahr da haben wird wo wir sein müssen. 

Was läuft jetzt im Frühling. Spannt ihr da aus oder seid ihr schon wieder mitten in der Vorbereitung?
CM: Ehrlich gesagt bin ich noch am ausspannen :) nein im Ernst, das Sommertraining ging bereits wieder los und ich bereite mich gut auf die nächste Saison vor – es gilt viel zu verteidigen an der nächsten WM!

Dieselbe Schlussfrage wie bei den Coaches. Wenn jeder den prägendsten oder eindrücklichsten Moment der WM erzählen müsste, welcher wäre das und warum?
Ka: Die Pause im Schwedenspiel vor der Verlängerung. Irgendwie war ich müde, fröhlich, angespannt – ich wusste überhaupt nicht was geschah, spürte, dass was möglich war, aber realisierte nicht, was es eigentlich war „was möglich sein könnte“. Ich war so locker, angstlos – irgendwie gefühllos – und doch wusste ich, „wir gewinnen!“.
Mo: Es fällt mir schwer die WM auf einen einzigen Moment zu reduzieren. Doch ich denke das ganze Dopingkontroll-Prozedere im Anschluss an das Bronzespiel wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. Eine Antwort auf das Warum würde hier aber wohl zu weit gehen.
Chrigi: Zum einen war ich tief beeindruckt, als beim Schlusspfiff im Medaillenspiel und unserer Verabschiedung in der Eishalle von Harbin alle Fans mehrheitlich für uns applaudiert haben, zum anderen war ein weiterer eindrücklicher Moment abseits vom Eishockey der Stromausfall im Hotel… no comment… :)

Ka, Mo, Chrigi. Herzlichen Dank für eure Zeit und viel Erfolg in der neuen Saison.

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