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Statue beim Fluss im Zentrum von Harbin

Monday, 07. April 2008 17:03

 

Tagesbericht A-Nati, 7.4.2008

am heutigen Tag genossen alle Teams einen freien Tag bevor es in die Zwischen- oder Abstiegsrunden geht. Das Schweizer Team startete dabei am Morgen eine Tour zu den (wenigen) Sehenswürdigkeiten Harbins und kauften da und dort ein paar Mitbringsel für sich oder für die Lieben zu Hause. Nach dem Mittagessen stand eine Stunde Eistraining an, die der Coaching Staff nutzte, um die Mannschaft wieder auf die bevorstehenden Spiele gegen Schweden und Russland einzustimmen.
Den Abend verbrachten die Eisgenossinnen dann im Hotel und gingen zeitig schlafen, Tagwache soll ja am Dienstag bereits wieder früh am Morgen sein.

Eine Delegation aus dem Staff der Schweizerinnen war am Abend noch zum Welcome Banquet der Stadt Harbin eingeladen. Aus jedem Land und aus der Stadt, dem IIHF und den chinesischen Sportverbänden waren Vertreter anwesend um bei traditioneller Musik und einheimischem Essen der Stadt ihre Ehre zu erweisen. Böse Zungen behaupten, nicht jeder der Schweizer Vertreter hätte nach dem Bankett genug im Bauch gehabt...

Aufgrund des freien Tages nahm sich René Kammerer die Zeit, frauennati.ch ein Interview zu geben.

Frauennati.ch: René, herzlichen Dank dass du dir die Zeit nimmst, und ein Interview zu geben. Wie fühlst du dich am heutigen Tag? Die Vorrunde ist abgeschlossen, die nächsten Gegner sind bekannt.
René Kammerer: Gern geschehen! Zur Zeit fühle ich mich gut. Die Vorbereitung hier in Harbin ist den Umständen entsprechend gut verlaufen, die Vorrunde war ein Erfolg. Über unseren nächsten Gegner haben wir uns erst lose Gedanken gemacht. Wir haben sie in den anderen Spielen hier gesehen. Im Moment sausen noch viele Gedanken darüber im Kopf herum, wir werden sehen...

Welche Spielerin ist in deinen Augen die Überraschung?
RK: Über einzelne Spielerinnen gebe ich grundsätzlich keine Meinung öffentlich bekannt. Das Team als ganzes mit dem Staff hat die Leistung gebracht. Ich beziehe mich hier nicht nur auf die 2 WM Spiele. In der Vorbereitung haben wir China 3:1 geschlagen. Das 0:7 gegen Finnland hat uns ganz gut getan, und die Augen geöffnet.

Was würdest du in der Vorbereitung auf diese WM heute anders machen?
RK: Die Vorbereitung der WM hier in Harbin hat extrem viel Energie und Zeit gekostet. Vom Staff, vom Verband, und von den Spielerinnen. Es war zum Teil enorm mühsam. Unabhängig des Erfolges, würde ich nur wenig an der Vorbereitung ändern. Da oder dort ein Tag mehr z.B. es schwirren auch andere Ideen im Kopf, aber im Moment zählt dieses Turnier. Wir werden uns sicher später mit dieser Frage beschäftigen.  

Hat sich alles so abgespielt, wie du es dir vorgestellt oder vorgenommen hast?
RK: Mehrheitlich ja. Hmmmm....wir müssen das nach der WM genauer analysieren.

Wie lauten die weiteren Ziele dieser WM?
RK: Nominell sind ab jetzt alle Gegner stärker als wir. Wir wollen unsere Fortschritte bestätigen. Mutig, Frech und Aggressiv auftreten. „Proud to be Swiss.” Wer weiss, die Rolle als Spielverderber liegt uns. Der 5. Platz von Winnipeg zu wiederholen wäre ein grosser Erfolg.

Wie schätzt Du die nächsten Gegner ein?
RK: Schweden ist die klare Nummer 3 der Welt. Technisch, taktisch und physisch enorm stark. In Winnipeg haben wir 0:4 verloren. Wir wollen auch mal Tore schiessen.
Russland als ganzes ist nochmals stärker geworden. Die Nr. 8 „Gavrilova“ ist einfach Extraklasse. Ihre Torhüterin hat mich jedoch noch nicht so überzeugt. Auch ihr physisches Leistungsvermögen müssen sie erst noch beweisen. Wobei dieser Eindruck ganz gewaltig täuschen kann. Es könnte auch Ostblock Mentalität sein.

Es werden auf jeden Fall 2 harte Spiele. Wir können nur gewinnen, und freuen uns darauf!

Was fehlt uns um einen Grossen zu schlagen?
RK: Gegenfrage: Was heisst grosse Nation?

Eine, die in der Weltrangliste vor uns ist. Aktuell wären das CAN; USA; SWE; FIN....dann verändert sich das Worldranking ja...
RK: Hmmmmm...überlegt lange....CAN und USA spielen in einer eigenen Liga. Da wird sich auch wenig ändern. Etwas ärgern können wir die, mehr aber nicht. Ist nun mal die Realität. Gegen die Amis haben wir mutig gespielt, dass hat gut ausgesehen. Wenn du aber nur einen Moment nachlässt, wird’s mehr als brandgefährlich. In der Regel ist es ein Tor. Da hilft nur noch ein Weltklasse Torhüter... Diese Torfrauen haben wir zum Glück. Bei den anderen Teams sind viele, die diesen Sport professionell ausführen können. Zum Teil subventioniert vom Olympischen Verband (SWE). Diese Mittel fehlen uns gänzlich.
Oder deren Spielerinnen sind in ausländischen Profiligen (FIN und SWE). Beide haben Spielerinnen in Nordamerika und Russland. Wir haben unsere Bemühungen in dieser Richtung intensiviert, und einige im Ausland. Die essen jetzt noch hartes Brot, müssen böse unten durch. 
Aber auch wir Coaches sind Amateure, uns fehlt schlicht die Zeit (Beruf), uns z.B. entsprechend weiter zu bilden. Bemühungen um Erfahrungen intern (mit den Ligacoaches) auszutauschen scheiterten bisher auch immer wieder - leider. Dabei wäre dieses Wissen, dieser Austausch enorm wichtig. 

Wo haben wir bei der Ausbildung der Spielerinnen noch den meisten Handlungsbedarf, wenn du international vergleichst?
Ein klarer Unterschied liegt im Topspeed und der Beschleunigung. Da arbeiten die anderen Topnationen sehr mit schnellen Füssen. Hohe Schrittfrequenz über eine längere Zeit, dazu agil und wendig sein. So haben auch körperlich kleinere Nationen gute Chancen. Finnland ist ein gutes Beispiel dafür. Dann halt auch die Basics mit der Scheibe. Wir nennen das „1'000 Pucks“. 1’000 Pucks als Slapshot abfeuern oder als Pass auf den Stock bringen, und du hast es im Blut. Dafür braucht es aber Zeit… oder den Profistatus wo du das pro Woche 2 – 3 mal schwergewichtig üben könntest. Oder eben System Schweiz, du machst es in deiner Freizeit.
Zudem kommen generell zu wenige ausgebildete Verteidigerinnen hinzu. Wie bei den Knaben wollen viel mehr Stürmer sein. Da es bei den Herren noch durch die Anzahl Spieler insgesamt abgefedert wird ist das nicht so spürbar, bei uns aber schon.

Zurück zur Frage: Wie weit weg sind wir davon einen Grossen zu schlagen?
Schon morgen werden wir das sehen :)

Sind in deinen Reihen auch Profis wie z.B. in Deutschland?
RK: Wir haben Spielerinnen in Schweden und Übersee. Diese sind in einem profiähnlichen Status. Ansonsten haben wir alles Amateure. Von 12 oder 13 Berufseishockeyspielerinnen wie in Deutschland können wir leider im Moment nur träumen.

Würde ein Profitrainer in der CH Sinn machen?
RK: Es geht nicht nur um einen Profitrainer. Viel mehr bräuchten wir eine Stelle, die sich zu 100 % um das Fraueneishockey in der Schweiz kümmern könnte. Es gibt so viele Themen die wir nur oberflächlich behandeln können, weil uns einfach die Zeit fehlt. Fraueneishockey in der Schweiz wird sich entwickeln, hat Potential. Für Fans, Spielerinnen, Funktionäre und Sponsoren.

Zurück zur WM: Ist das Team bereit für die nächsten Gegner?

RK: Aktuell ist noch mentale und körperliche Entspannung angesagt, morgen werden wir uns wieder damit beschäftigen. Ich bin überzeugt, das Team wird bereit sein! Es hat uns noch nie enttäuscht!

Wie siehst du die Chancen?
RK: Wie sagen das die grossen, die wirklich grossen Coaches so schön? Eishockey ist ein Spiel, der Puck ist rund.

Wie gehst du mit dem Druck an einem Grossturnier (WM/Olympia) um?
RK: Gute Frage.., für mich wichtiger ist, wie ich auf das Team wirke. Der Druck, Stress usw. für das Team ist eh schon gross genug, da muss ich versuchen ruhig zu wirken. Ob mir das gelingt müssen andere beurteilen.
Ich für mich habe meinen Weg, meine Spleens, aber die gehören nicht hierher.

Eine Frage zur heimischen Liga. Warum denkst du, mussten sich in der Vergangenheit immer wieder Teams aus der Liga zurückziehen, und die Segel streichen? Das obwohl die Nationalmannschaft nun einen kontinuierlichen Aufwärtstrend zeigt. Und sich so bereits zum 2. mal für olympische Spiele qualifiziert hat.
RK: Das ist eine komplexe Frage, die ich alleine wohl nicht abschliessend beantworten kann. Ich kann höchstens Vermutungen anstellen. Da wäre einmal die Anzahl der Spielerinnen. Klar, es werden immer mehr, das sieht man auch an den neuen LK C Teams. Bis diese aber das Niveau für Spitzeneishockey haben, braucht es einfach Zeit. Die wollen wir uns nicht geben. Das endet darin, dass einige Top Teams mit 10 oder 12 Feldspielerinnen antreten müssen. Hören Einige auf, wird es eng. Dann haben einige Spielerinnen bemerkt, dass es mehr braucht als im Sommer 1x 1 Stunde Unihockey zu spielen, um dabei zu sein. Etliche sind nicht bereit diesen Preis zu bezahlen. LK A Fraueneishockey soll Leistungssport sein.
Oft sind die Vereine angewiesen auf die enorme Arbeit einiger weniger Funktionären. Steigen diese aus, hinterlassen sie ein Vakuum. Für die Klubs ist es zudem noch immer sehr schwer, an wirklich gute Bedingung zu kommen (z.B. Eiszeiten usw). In diversen „Herren Klubs“ sind Mädchen leider noch immer nicht gerne gesehen. Das ist ein langer Prozess.

Wie viele Unterstützung bekommst du von den Klubs?
RK: Es gibt neu eine Fraueneishockey Kommission, darin sind wir vertreten. In den Ligaversammlungen bekommen wir unser Zeitfenster. Mit den Klubcoaches versuche ich in Kontakt zu sein. Manchmal gelingt das besser, manchmal weniger. Wir wissen, dass wir ohne die Klubs wohl nur schwer existieren könnten, immerhin haben sie die Spielerinnen mehrheitlich. Auf der anderen Seite profitieren die Vereine sicherlich auch von unseren positiven Resultaten. Gerade olympische Spiele bringt Medienpräsenz. Alle werden profitieren. Verband, Vereine und Nationalteam. Alle müssen lernen, dass es ein geben und nehmen ist! Und alle müssen akzeptieren, dass wir uns gegenseitig brauchen, und das nicht nur wenn ein Grossturnier läuft. Sondern noch viel mehr in dessen Vorbereitung.

René, vielen Dank für deine Zeit und weiterhin noch viel Erfolg in Harbin an der WM 2008 und herzliche Gratulation zur direkten Qualifikation für Vancouver 2010!
RK: Merci!